Georg Reinbold

Ein mutiger Demokrat im Kampf gegen Hitler: Der badische SPD-Vorsitzende und Widerstandsorganisator Georg Reinbold

Widerstand gegen das Nazi-Regime – bei diesem Begriff fallen den meisten Menschen vor allem die Geschwister Scholl und der spät geläuterte Graf von Stauffenberg ein, manchen vielleicht auch der Bürgerbräu-Attentäter Georg Elser. Dass sich schon vor 1933 Hunderttausende von Deutschen dem braunen Mob im Wortsinne entgegengestellt hatten und dass ein erheblicher Teil von ihnen diesen Kampf auch unmittelbar nach der NS-'Machtergreifung' unter akuter Gefahr für Leib und Leben fortsetzte, ist im kollektiven Bewusstsein unseres Landes kaum verankert.

Vor allem Kommunisten und Sozialdemokraten waren es, die sich nach dem Verbot ihrer Parteien trotz brutalster Verfolgung im Untergrund neu formierten, um das sich etablierende Terrorregime zu bekämpfen. Unterstützt wurden sie von eigenen Genossen, die sich der drohenden Verhaftung durch Flucht ins Ausland hatten entziehen können: Über „Grenzsekretariate“ wurde der sozialdemokratische Widerstand im Reich von außen organisiert und angeleitet.

Mit Blick auf die südwestdeutsche Sozialdemokratie kam diese schwierige Rolle dem einstigen badischen SPD-Vorsitzenden Georg Reinbold zu, dessen Geburtstag sich am 22. Oktober 2010 zum 125. Mal gejährt hat. Vom März 1933 bis zum Einmarsch deutscher Truppen in die westlichen Nachbarländer im Frühjahr 1940 versorgte er seine Genossen erst vom Saargebiet, seit 1935 dann von Frankreich und Luxemburg aus als SOPADE-Grenzsekretär mit Parteimaterial und koordinierte ihre illegalen Aktivitäten. Wer war der Mann, der diese Schlüsselrolle ausfüllte?

Geboren am 22. Oktober 1885 in Triberg im Schwarzwald, war Reinbold – wie weiland üblich – nach seiner Schlosserlehre zunächst auf Wanderschaft gegangen, um schließlich seit 1908 wieder in seiner Heimatstadt tätig zu werden. Während der Wanderschaft war er der SPD beigetreten, die er bald auch im Triberger Bürgerausschuss vertrat. Nach nur kurzer Tätigkeit als Vorsitzender des Triberger Gewerkschaftskartells wurde er schließlich 1912 zum SPD-Parteisekretär für den Reichstagswahlkreis Baden I (Singen a. H.) berufen. Während des Kriegs, den seine Partei vorab vehement abgelehnt hatte, dann aber doch im Rahmen eines „Burgfriedens“ zunächst tolerierte, war der nun knapp über Dreißigjährige drei Jahre lang im Fronteinsatz, um schließlich 1919 für seine Partei in den Singener Bürgerausschuss einzurücken und ein Jahr darauf die Redaktion der örtlichen Parteizeitung „Volkswille“ zu übernehmen.

1923 wurde Reinbolds unermüdlicher politischer Einsatz durch die Berufung zum Sekretär der badischen Gesamt-SPD honoriert. Dieses Amt erforderte einen Umzug an den so genannten Vorort der Landes-SPD: in die badische Industriemetropole und Parteihochburg Mannheim. Noch im selben Jahr in den Reichsparteiausschuss seiner Partei berufen, wurde Reinbold schließlich 1924 zum Landesvorsitzenden der badischen SPD gewählt. Die firmierte im ländlich geprägten „Ländle“ zwar nurals Juniorpartner in einer recht stabilen „Weimarer Koalition“ mit der katholischen Zentrumspartei und Linksliberalen, erwies sich gleichwohl in vielerlei Hinsicht als deren gewichtigster Part. Als Landtagsabgeordneter mischte der nun vierzigjährige SPD-Vorsitzende seit 1925 auch auf parlamentarischer Ebene mit, seit 1931 fungierte er zudem als Erster Vizepräsident des Badischen Landtags.

Als einer der exponiertesten Sozialdemokraten des Landes nach der NS-„Machtergreifung“ in ganz besonderer Weise von Verhaftung bedroht, war Reinbold nichts anderes übriggeblieben, als sich in Ausland abzusetzen. Doch auch Parteisolidarität spielte bei der Entscheidung zur Flucht eine Rolle: Als Parteivorsitzender mit den Strukturen der badischen SPD vertraut wie wohl kein Zweiter, war er der mit Abstand Beste, der sich für die kräftezehrende Aufgabe eines Widerstandsorganisators an Deutschlands südwestlicher Grenze finden ließ.

Die bis dato unvorstellbare Terrorherrschaft der Nazis, die allein im deutschen Südwesten Tausende in die Gefängnisse, Zuchthäuser, KZs und Folterkeller der Gestapo trieb und Hunderte daraus nicht mehr zurückkehren ließ, brachte den Widerstand der SPD 1935/36 zum Erliegen. Die Diktatur schien unüberwindbar, ein neuer Weltkrieg damit unabwendbar. In dieser verzweifelten Situation suchten die politischen Emigranten den Schulterschluss. Auch Reinbold war an einer 1938 gestarteten Initiative zur Vereinigung der Exil-SPD mit der 1931 gegründeten SAPD mit beteiligt, bevor er schließlich im Frühjahr 1940 wie Zehntausende andere Emigranten vor deutschen Truppen nach Südfrankreich fliehen musste. Physisch wie psychisch bereits stark geschwächt, gelangte er von dort aus mit Hilfe der German Labour Delegation (eines Zusammenschlusses sozialdemokratischer US-Emigranten) weiter nach Portugal und schließlich 1941 in die USA, wo er jedoch – in wirtschaftlich äußerst prekärer Lage und jederzeit von Ausweisung bedroht – zunehmend weiter zerfiel.

„Dies letzte Jahr in Frankreich war zuviel für mich gewesen und wo ich mal keine Bluthunde mehr hinter mir verspüre, brach ich zusammen, lag in Amerika 15 Monate im Bett und bin bis heute nicht mehr ganz gesund geworden“, so Reinbold Ende 1945 in einem Brief an die in Deutschland zurückgelassenen Freunde und Genossen. „[…] der Reinbold ist nicht mehr der gleiche. Temperament und Lust zum Zupacken ist auch gleich stark, aber der Körper geht nimmer so mit […]. Wenn sie mich auf dem Wege der Deportation [aus den USA] hinaus tun, dann komme ich eben, im anderen Falle im Frühjahr [1946].“ Doch dazu sollte es nicht mehr kommen: Entkräftet durch die Strapazen eines mittlerweile 13-jährigen Exils, starb Georg Reinbold im Mai 1946 in New York, ohne seine badische Heimat jemals wieder gesehen zu haben. Als einer jener Heimatvertriebenen, die das NS-Regime durchaus nicht nur an seinem Ende, sondern vielmehr schon gleich zu Beginn in großer Zahl hervorbrachte, war damit auch dieser mutige Demokrat ein wenn auch spätes Opfer des NS-Regimes.

Andrea Hoffend