Regierungsprogramm der SPD Baden-Württemberg 2016 bis 2021

Fachkräfte sichern

Die Stärke unseres Standorts verdanken wir vor allem den fähigen Händen und den klugen Köpfen, den Fachkräften in unserem Land, die Tag für Tag Außergewöhnliches leisten. Viele Unternehmen machen sich aber Sorgen, ob sie in wenigen Jahren noch ausreichend qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden werden. Der drohende Fachkräftemangel bewirkt ein Umdenken in vielen Unternehmen. Sie lernen: Gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind kein Kostenfaktor, sondern Voraussetzung für den wirtschaftlichen Erfolg.

Deshalb haben wir die „Fachkräfteallianz“ ins Leben gerufen um mit den Unternehmen, Gewerkschaften, Verbänden und Kammern Fachkräfte zu gewinnen und den Menschen im Land die Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Gemeinsam stärken wir die berufliche Bildung, verbessern den Übergang von der Schule in den Beruf, ermöglichen lebenslanges Lernen und etablieren eine echte Willkommenskultur für ausländische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. So sichern wir Fachkräfte und bauen unseren Spitzenplatz bei der niedrigsten Jugendarbeitslosigkeit in Europa weiter aus. Alle jungen Menschen sollen die Chance erhalten, ihre Begabungen zu entfalten – unabhängig von Geschlecht, Herkunft und sozialem Hintergrund. Unser Ziel für die kommende Wahlperiode ist eine Ausbildungsgarantie für jeden jungen Menschen in Baden-Württemberg.

Gemeinsam für die berufliche Bildung

Mit dem von uns ins Leben gerufenen „Ausbildungsbündnis Baden-Württemberg“ wurde die Kooperation des Landes mit Gewerkschaften, Unternehmen und Verbänden auf neue Füße gestellt. Das Ausbildungsbündnis hat zum Ziel, die Übergänge junger Menschen von der Schule in den Beruf zu gestalten, die Attraktivität und Qualität der Berufsausbildung zu steigern und die betriebliche Ausbildung für die Zukunft weiter zu stärken. Mit dem Ausbildungsbündnis setzen wir die erfolgreiche Zusammenarbeit aller Akteure im Bereich der Ausbildung fort und werden es zukunftsfähig weiterentwickeln. Um dem Fachkräftemangel in der Pflege entgegenzuwirken, haben wir den Ausbildungsfonds für Pflegeberufe eingeführt. Damit fördern alle Krankenkassen in Baden-Württemberg die Ausbildung der nichtärztlichen Heilberufe. Wir unterstützen weiter die generalistische Ausbildung im Pflegebereich und die Aufwertung der Pflege.

Berufliche Schulen stärken

Die fast 300 beruflichen Schulen im Land leisten einen großen Beitrag für Wirtschaft und Gesellschaft. Dort werden junge Menschen ausgebildet, erreichen eine Berufsqualifikation und erhalten die Möglichkeit, höhere allgemeine Schulabschlüsse zu erwerben. Inzwischen wird fast jede zweite Hochschulzugangsberechtigung an einer beruflichen Schule erreicht und fast jedes dritte Abitur an einem beruflichen Gymnasium. Wie keine Landesregierung zuvor haben wir die beruflichen Schulen gestärkt. Wir haben 150 weitere Eingangsklassen an den beruflichen Gymnasien geschaffen und das strukturelle Unterrichtsdefizit auf den bisher niedrigsten Stand gesenkt. Mit der Einführung von Englisch als Pflichtfach in über 160 Schulen sind wir einen wichtigen Schritt im Bereich der internationalen Wettbewerbsfähigkeit gegangen. Durch die erfolgreiche AZAV-Zertifizierung (Zertifizierung nach der Akkreditierungs- und Zulassungsverordnung Arbeitsförderung) können nun über 100 berufliche Schulen geförderte Umschülerinnen und Umschüler aufnehmen und für eine Ausbildung gewinnen. Damit verfügt Baden-Württemberg über mehr zertifizierte öffentliche berufliche Schulen als jedes andere Bundesland.

Wir werden die Unterrichtsversorgung an den beruflichen Schulen noch weiter verstärken und die Lehrerversorgung verbessern. Dabei werden wir auch zusätzliche Vorbereitungsklassen für Flüchtlinge – auch mit weiterentwickelten pädagogischen Konzepten – einrichten. Wir werden die regionale Schulentwicklung der beruflichen Schulen in Abstimmung mit Schulträgern und Ausbildungsbetrieben bzw. den Kammern weiter vorantreiben und dort, wo Schülerinnen und Schüler im Blockunterricht beschult werden, die Rahmenbedingungen deutlich verbessern. Ziel ist eine paritätische Finanzierung, damit Auszubildende keine Kosten für ihre Unterbringung zu tragen haben. Als ersten Schritt werden wir ab dem Ausbildungsjahr 2016/2017 eine Drittelfinanzierung einführen. An der weiteren Umsetzung der Empfehlungen der Enquete-Kommission „Fit fürs Leben in der Wissensgesellschaft – Berufliche Schulen, Aus- und Weiterbildung“, halten wir fest. Ebenso möchten wir die Eigenverantwortung von beruflichen Schulen stärken.

Übergang von der Schule in den Beruf verbessern

Damit mehr Jugendlichen der direkte Einstieg in eine Ausbildung gelingt, haben wir in Modellregionen ein Konzept für die Neugestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf eingeführt. Der neue Bildungsgang „duale Ausbildungsvorbereitung“ (AVdual) richtet sich an Jugendliche, die nach dem Besuch der allgemeinbildenden Schule keinen Ausbildungsplatz gefunden und weiteren Förderbedarf haben. Wichtiger Bestandteil sind Betriebspraktika, um den Jugendlichen den Einstieg in eine betriebliche Ausbildung zu erleichtern. Unser Ziel ist es, dieses betriebsorientierte Übergangssystem zwischen Schule und Beruf zukünftig landesweit zu etablieren.

Wirtschaft, Studien- und Berufsorientierung

Wir haben bundesweit erstmalig die Einführung des Schulfaches Wirtschaft/Studien- und Berufsorientierung an allen weiterführenden Schulen auf den Weg gebracht. Wir verbinden damit die Erwartung, dass Schülerinnen und Schüler sich frühzeitig mit Chancen, Perspektiven und Herausforderungen der späteren Arbeits- und Berufswelt vertraut machen können. Durch das neue Fach soll eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen werden, damit Schülerinnen und Schüler sich früher mit ihrer individuellen beruflichen Zukunft auseinandersetzen und unterschiedliche Möglichkeiten aufgezeigt bekommen, ihre Ziele zu erreichen.

Für die betriebliche Ausbildung werben

Um mehr junge Menschen für eine betriebliche Ausbildung zu begeistern, haben wir die Ausbildungskampagne „gut-ausgebildet.de“ initiiert, bei der in Videoclips Berufe online vorgestellt werden. Darüber hinaus werben im Rahmen der Initiative „Ausbildungsbotschafter“ speziell geschulte Ausbildungsbotschafterinnen und Ausbildungsbotschafter aus 150 Berufen an den Schulen und vermitteln den Jugendlichen die Chancen und Vorteile einer betrieblichen Ausbildung aus erster Hand. Mit mehrsprachigen Materialien und Werbemaßnahmen sprechen wir besonders Jugendliche mit Migrationshintergrund und deren Eltern an, um gezielt über die „Chance Ausbildung“ zu informieren.

Diese erfolgreichen Initiativen werden wir zukünftig fortsetzen und weiter ausbauen. Zudem werden wir uns dafür stark machen, dass jungen Menschen, die ihr Studium abbrechen wollen, die Möglichkeiten der betrieblichen Ausbildung als Alternative aufgezeigt werden. Dazu gehört die Anerkennung von erbrachten Studienleistungen in der betrieblichen Ausbildung. Die duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) ist ein baden-württembergisches Erfolgsmodell, das sich weit über die Grenzen von Baden-Württemberg hinaus verbreitet hat. Wir werden für die Studierenden an der DHBW Rechtssicherheit schaffen und uns im Bund dafür einsetzen, dass Studierende der DHBW in das Berufsbildungsgesetz (BBiG) aufgenommen werden, damit diese ebenfalls den tarifvertraglichen Schutz genießen können, den Auszubildende genießen.

Ausbildung für alle und bis zum Abschluss

Unser Ziel ist es, dass jeder junge Mensch in Baden-Württemberg die Chance erhält, eine Ausbildung erfolgreich abzuschließen. Um Ausbildungsabbrüche zu vermeiden, haben wir 2012 das Modellprojekt „Abbruch vermeiden – Ausbildung begleiten“ auf den Weg gebracht. Kern ist die sozialpädagogische Begleitung Auszubildender bei instabilen Ausbildungsverhältnissen und die Schulung betrieblicher Ausbilderinnen und Ausbilder in Konfliktmanagement. Um die betriebliche Ausbildung besonders für junge Menschen in speziellen Lebenssituationen attraktiver zu machen, haben wir die Möglichkeiten für die Teilzeit- und Spätausbildung erweitert. Diese Möglichkeiten werden wir bedarfsgerecht ausbauen. Darüber hinaus werden wir stufenweise Ausbildungsmodelle als Alternative zur ungelernten Beschäftigung stärken.

Potentiale der Vielfalt heben

Wir haben eine echte Willkommensstruktur etabliert, damit Eingewanderte schnell auf unserem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Dafür haben wir die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse verbessert und mit dem Landesanerkennungsgesetz endlich einen Rechtsanspruch auf die Prüfung ausländischer Berufsqualifikationen geschaffen. Wir haben ein Netz kostenloser Beratungsstellen aufgebaut und die Zuständigkeiten für Anerkennungsverfahren gebündelt. So stellen wir sicher, dass die Potentiale gut ausgebildeter Migrantinnen und Migranten nicht wie in der Vergangenheit in starren Anerkennungsverfahren verloren gehen. Mit den „Welcome Centern“ haben wir zentrale Anlaufstellen für internationale Fachkräfte und die Unternehmen im Land geschaffen, die nach qualifizierten Arbeitskräften suchen.

Wir werden uns auch künftig dafür einsetzen, die Potentiale der Einwanderung aktiv zu erschließen. Dafür werden wir die Zahl der „Welcome Center“ in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2020 verdoppeln. Das Netz kostenloser Beratungsstellen für die berufliche Anerkennung werden wir weiter ausbauen und die zuständigen Stellen bedarfsgerecht verstärken. Auch das Sprachkursangebot für Migrantinnen und Migranten werden wir stärker fördern.

Mehr Frauen für MINT-Berufe begeistern

Um die Innovationskraft unseres Standorts zu erhalten, ist guter Nachwuchs in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik essentiell. Viele Frauen erwerben hervorragende schulische Qualifikationen für den MINT-Bereich. Das spiegelt sich jedoch nicht durch einen entsprechenden Anteil in den genannten Ausbildungs- und Studiengängen wider. Dadurch gehen unserem Land wichtige Potentiale verloren. Deshalb haben wir 2011 das Bündnis „Frauen in MINT-Berufen“ erfolgreich etabliert und mehr Frauen für eine Ausbildung oder ein Studium im MINT-Bereich begeistert. Diesen Weg werden wir in der kommenden Legislaturperiode fortsetzen.

Lebensbegleitendes Lernen ermöglichen

Wir haben die Weiterbildung im Land gestärkt. Denn nur mit Weiterqualifizierung, Anerkennung von Abschlüssen und Qualifizierungschancen, insbesondere für An- und Ungelernte, werden wir innovativ bleiben und zukunftssichere Arbeitsplätze erhalten. Daher haben wir mit dem Bildungszeitgesetz eine gesetzliche Grundlage und Anreize zur berufsbegleitenden Weiterbildung geschaffen. Viele Beschäftigte haben nun den Anspruch auf eine bezahlte Freistellung zur Weiterbildung und zur Stärkung des Ehrenamtes von fünf Arbeitstagen pro Jahr. Zusammen mit den Gewerkschaften, Unternehmen und den Bildungsträgern haben wir im Land berufliche Weiterbildungsangebote geschaffen, die auf den Grundsätzen der Träger- und Methodenvielfalt beruhen und persönliche Entwicklung mit wirtschaftlichem Bedarf in Einklang bringen.

Dadurch wurde ein innovatives, aktuelles, zielgruppen- und bedarfsgerechtes Weiterbildungsangebot geschaffen. Wir setzen uns dafür ein, dass die Forderung nach „lebensbegleitendem Lernen“ auch mit tatsächlichen Angeboten gefüllt wird. Die Einführung der Bildungszeit war dabei nur ein erster Schritt. Unser Ziel ist es, dass Beschäftigte einen Anspruch auf Bildungsteilzeit haben, beispielsweise um neben ihrer Beschäftigung ein berufsbegleitendes Studium aufnehmen zu können. Dafür werden wir die Möglichkeit schaffen, die Ansprüche aus der Bildungszeit „anzusparen“ und am Stück für Weiterbildung einzusetzen. Zukünftig soll die Bildungszeit auch für Auszubildende uneingeschränkt gelten.

Auch haben wir die Zuschüsse für die Weiterbildung jedes Jahr schrittweise erhöht und gegenüber 2011 mehr als verdoppelt und im Kampf gegen Analphabetismus wichtige Akzente gesetzt. Wir werden auch weiterhin die landesseitige Förderung der Volkshochschulen sowie weiterer Weiterbildungsträger am Bundesschnitt ausrichten.

Chancen der Beschäftigung erhöhen

Es gibt immer noch zahlreiche Beschäftigte, die keinen anerkannten Berufsabschluss besitzen und Fachkräfte, die sich durch ihre teilweise jahrzehntelange Berufserfahrung ein unschätzbares Wissen angeeignet haben. Dieses Wissen fand bisher weder als Berufsabschluss noch als akademischer Grad Anerkennung. Wir wollen die bisherige projekthafte Förderung verstetigen, indem wir als erstes Anerkennungsstellen für informell und nonformal erworbene Qualifikation einrichten.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird seit vielen Jahren in den Kontaktstellen „Frau und Beruf“ erfolgreich vorangetrieben. Wir haben daher auch die dauerhafte Finanzierung sichergestellt.

Politische Bildungsarbeit fördern

Es ist notwendig, bestehende Institutionen der politischen Bildung finanziell und personell gut auszustatten. Daneben wollen wir politische Bildung unterstützen. Sie ist ein wichtiger Grundpfeiler zur Stärkung der Demokratie.

Auf die SPD kommt es an! Wir werden:

  • Die Unterrichts- und Lehrerversorgung an den Beruflichen Schulen weiter verstärken,
  • die Rahmenbedingungen für Schülerinnen und Schüler im Blockunterricht mit dem Ziel einer paritätischen Finanzierung deutlich verbessern, damit Auszubildende keine Kosten mehr tragen müssen,
  • das Konzept „duale Ausbildungsvorbereitung“ (AVdual) landesweit etablieren,
  • Möglichkeiten schaffen, erbrachte Studienleistungen von Studienabbrechern in der betrieblichen Ausbildung anzuerkennen,
  • die Zahl der Welcome Center in Baden-Württemberg bis zum Jahr 2020 verdoppeln,
  • das Netz kostenloser Beratungsstellen für die berufliche Anerkennung ausbauen.