Vierte Sitzung des Runden Tisches Islam in Stuttgart – Thema des Treffens: „Jugend – Kultur – Medien“

Veröffentlicht am 18.04.2013 in Landespolitik

In Stuttgart ist heute der Runde Tisch Islam zum vierten Mal zusammen gekommen. Die Sitzung stand unter dem Thema „Jugend – Kultur – Medien“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diskutierten folgende Fragen: Wie leben junge Muslime ihren Glauben? Wie setzen sie sich mit religiösen Traditionen auseinander? Wie können sie sich Gehör verschaffen? Wie können muslimische Jugendliche noch stärker in die Verbands- und Vereinsarbeit eingebunden werden?

Integrationsministerin Bilkay Öney wies in ihrem Statement auf eine aktuelle Umfrage des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration hin: „Diese Untersuchung zeigt eine große Kluft zwischen negativem Medienbild von Zuwanderern – insbesondere von Muslimen – und weitgehend positiver Alltagserfahrung in der Einwanderungsgesellschaft.“ Laut der Studie empfinden 70,8 Prozent der Befragten ohne Migrationshintergrund und 73,9 Prozent der Zuwanderer, dass die Darstellung von Muslimen in den Medien eher oder viel zu negativ ist. Die befragten muslimischen Zuwanderer waren sogar zu 82,1 Prozent dieser Ansicht. „Es liegt in der Natur der Sache, dass die Medien problemorientiert berichten“, so die Ministerin. Allerdings könne ein anhaltend negatives Bild in den Medien Vorurteile und Ausgrenzung verstärken. „Im schlimmsten Fall isolieren sich gerade junge Menschen und driften in die Radikalität ab. Das wollen wir verhindern“, sagte Öney.

Die Ministerin betonte, wie wichtig die Jugend für eine gelingende Integration ist: „Gerade junge Muslime müssen wir im Blick behalten. Sie werden ihren Glauben weitertragen. Damit dies auf einer fundierten Basis erfolgt, halte ich eine Ausweitung des islamischen Religionsunterrichts für wichtig. Die Jugendlichen sollen ihre Religion nicht von charismatischen Hasspredigern im Internet vermittelt bekommen, sondern in den Schulen des Landes.“ Der alevitische Religionsunterricht habe sich an 32 Schulen im Land profiliert. Es hapere aber am Religionsunterricht für sunnitische und schiitische Schülerinnen und Schüler. Diese stellen die Mehrheit unter den Muslimen im Land. Öney: „Hier müssen wir aus den Kinderschuhen herauskommen.“ Lediglich 20 Grundschulen und sechs Hauptschulen bieten derzeit in Baden-Württemberg entsprechenden Unterricht an. Aus diesem Grund haben die Landesverbände Stuttgart und Karlsruhe der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB) beim zuständigen Kultusministerium einen Antrag auf Zulassung islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen eingereicht.

Zum Thema Jugend liefert auch der vor einigen Wochen von den Akteuren der Kinder- und Jugendarbeit sowie Jugendsozialarbeit unterschriebene „Zukunftsplan Jugend“ wichtige Impulse. Zwei Punkte sind dabei für die Integrationsarbeit besonders wichtig: Einerseits sollen Migrantenorganisationen selbstverständlicher Teil der Kinder- und Jugendarbeit werden. Andererseits sollen Verbände und Vereine die interkulturelle Öffnung weiter vorantreiben. Dazu hat das Ministerium für Integration zusammen mit dem Landesverband des Deutschen Roten Kreuzes ein Modellprojekt für mehr Migranten in Hilfsorganisationen gestartet: Der DRK-Kreisverband Göppingen erprobt Maßnahmen zur Öffnung seiner Verbandsarbeit, der Kreisverband Schwäbisch Gmünd entwickelt ein Konzept zur Öffnung seines Mehrgenerationenhauses.

Als Referenten hatte das Integrationsministerium den Schriftsteller Feridun Zaimoğlu und den Wissenschaftler Professor Dr. Mouhanad Khorchide von der Universität Münster eingeladen. Zaimoğlu begleitet seit vielen Jahren kritisch die Rolle der Religion in der säkularen Gesellschaft. Zur aktuellen gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Islam sagte er: „Man muss aufhören, mit frisierter oder kalter Schnauze zu reden. Man beginnt zu lügen, wenn man die Fakten vernachlässigt.“ Auf die Lebenssituation in Deutschland lebender junger Muslime bezogen warb Zaimoğlu für die Einsicht: „Diese jungen Frauen und Männer glauben und wenden sich nicht ab. Es wird Zeit, dass Deutschland sie mit liebenden Augen ansieht.“

Mouhanad Khorchide tritt für eine menschenfreundliche Interpretation des Koran ein. Im vergangenen Jahr hat er das Buch „Islam ist Barmherzigkeit – Grundzüge einer modernen Religion“ veröffentlicht. In seinen Forschungen geht er u.a. den Fragen nach: Weshalb ist Religion und Religiosität wichtig für die Entwicklung junger Menschen? Auf welche Weise sollen junge Menschen mit ihren religiösen Traditionen vertraut gemacht werden? In seinem Referat betonte er: „Es gehört zur Natur des Menschen, dass er verstehen will. Wenn aber gerade religiöse Erziehung und religiöse Bildung dieses Bedürfnis unterdrückt, betreibt sie eine geistige Diktatur. Religionen laufen dann Gefahr, ein Instrument der Repression zu werden: der politischen, aber auch der geistigen.“

„Junge Muslime als Partner“ ist ein Projekt, das die Jugendarbeit von muslimischen Gruppen in Baden-Württemberg untersucht. Hussein Hamdan stellte heute die an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart durchgeführten und von der Bosch-Stiftung geförderten Forschungen vor. Sein Fazit: „Viele muslimische Organisationen sind aktuell dabei, ihre Jugendarbeit weiterzuentwickeln. Sie wollen Teil der Jugendringe werden und Verantwortung in der deutschen Gesellschaft übernehmen.“

Hintergrundinformationen: Im November 2011 ist der von Ministerin Bilkay Öney ins Leben gerufene Runde Tisch Islam erstmals zusammen gekommen. Er widmet sich halbjährlich konkreten Themen. Ziel ist der Dialog mit Musliminnen und Muslimen im Land. Das etwa 40-köpfige Gremium setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern islamischer Verbände (DITIB, VIKZ, IGBD, Aleviten und Ahmadiyyah), Persönlichkeiten des muslimischen Lebens in Baden-Württemberg sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beteiligter Ministerien zusammen. Vertreter von Institutionen, die den Integrationsprozess fördern, ergänzen den Teilnehmerkreis (zum Beispiel die Landeszentrale für politische Bildung).