SPD fordert Sofortmaßnahmen für bessere Bildung

Veröffentlicht am 06.09.2007 in Pressemitteilungen

Ute Vogt: "Anstatt an den Symptomen der Schulmisere herumzudoktern, muss die Landesregierung mit Strukturreformen ihren Ursachen zu Leibe rücken"

Das neue Schuljahr muss nach Ansicht der SPD dazu genutzt werden, in Baden-Württemberg gleiche Bildungschancen für alle zu schaffen. Mit Sofortmaßnahmen in den Bereichen Unterrichtsversorgung, Schulstruktur, Elementarbildung, Schulsozialarbeit, Jugendverbandsarbeit und Weiterbildung müssten hierfür die Weichen gestellt werden, betonten SPD-Fraktionschefin Ute Vogt und der bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Dr. Frank Mentrup, vor der Landespresse. Als eine zentrale Aufgabe bezeichneten sie es, den gerade in Deutschland immer noch wirksamen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungschancen aufzubrechen. "Was aus einem jungen Menschen wird, darf nicht davon abhängen, aus welchem Elternhaus er kommt", sagte Vogt.

Der Landesregierung warf sie vor, kein schlüssiges Konzept zu haben, um die vielen "Intensivpatienten" im baden-württembergischen Bildungswesen kurzfristig zu stabilisieren und langfristig zu kurieren. "Anstatt an den Symptomen der Schulmisere herumzudoktern, muss die Landesregierung mit Strukturreformen ihren Ursachen zu Leibe rücken", verlangte Vogt.

Nach Ansicht von SPD-Bildungssprecher Dr. Frank Mentrup verweigert sich die Landesregierung sowohl positiven Erfahrungen anderer Länder als auch gesicherten wissenschaftlichen Befunden, die die Vorteile eines integrativ ausgerichteten Bildungswesens für Lehrer, Eltern und Schüler beweisen. "Längeres gemeinsames Lernen, mehr individuelle Förderung und größere Freiräume für die Schulen sind die Schlüssel für wohnortnahe bessere Bildung für alle", unterstrich Dr. Mentrup.

Sofortmaßnahme 1: Unterrichtsversorgung an den Schulen sichern

Als nach wie vor besorgniserregend bewertet die SPD kurz vor Beginn des neuen Schuljahres die Unterrichtsversorgung. Schon heute fielen pro Jahr 2,8 Mio. Unterrichtsstunden aus. Infolge der Sperrung und Umwidmung von Lehrerstellen sowie der niedrigen Einstellungszahlen von Lehreranwärtern hätten zahlreiche Schulen im kommenden Schuljahr Schwierigkeiten, den Pflichtunterricht in vollem Umfang zu gewährleisten. "Die Engpässe an den Grund- und Hauptschulen sind so groß, dass Förderangebote im Rahmen des Ergänzungsbereichs zusammengestrichen werden", kritisierte Vogt.

Das strukturelle Unterrichtsdefizit bei den beruflichen Schulen betrage 4,4 Prozent, bei den Sonderschulen sogar 5 Prozent. Und gerade die beruflichen Schulen hätten - neben den Gymnasien - mit steigenden Schülerzahlen zu rechnen. "Die Landesregierung redet die bedrückende Wirklichkeit an vielen Schulen schön. Ihre verfehlte Schulpolitik geht zu Lasten eines verlässlichen Unterrichtsangebots und einer individuellen Förderung insbesondere schwächerer Schülerinnen und Schüler", sagte Vogt. Die in Baden-Württemberg ohnehin schon große Bildungsungerechtigkeit werde sich dadurch weiter verschärfen.

870 Lehrerstellen zusätzlich für eine Unterrichtsgarantie

Die unbefriedigende Unterrichtsversorgung an den Schulen des Landes erfordert aus Sicht der SPD rasches und mutiges Gegensteuern, ohne das Ziel der Haushaltskonsolidierung aus den Augen zu verlieren. "Als Sofortmaßnahme sind 870 zusätzliche Lehrerstellen nötig, um die Unterrichtsversorgung zu verbessern und die zusätzlichen Förderangebote an allen Schularten in vollem Umfang zu erhalten", forderte Vogt. Die Sperrung von Lehrerstellen soll hierfür vollständig rückgängig gemacht werden.

Die Schaffung zusätzlicher Lehrerstellen sei nicht nur bildungs-, sondern auch beschäftigungspolitisch geboten. Denn viele gut ausgebildete Lehreranwärter warteten vergeblich auf eine Stelle. Für die Grund- und Hauptschulen lägen 2.565 Bewerbungen vor. Doch lediglich 750 Lehrkräfte würden zum Schuljahr 2007/08 neu eingestellt.

Sofortmaßnahme 2: Dreigliedrigkeit überwinden - Länger gemeinsam lernen

Den Schlüssel für bessere Bildungschancen für alle sieht Vogt in einem integrativen Schulsystem, in dem Kinder länger miteinander und voneinander lernen können. Nach den Reformplänen der SPD soll die Grundschule zunächst auf sechs Jahre verlängert und darauf aufbauend die 4-jährige Gemeinschaftsschule mit einem neuen pädagogischen Konzept eingeführt werden. Dies sei "ein erster, pragmatischer Reformschritt" auf dem Weg zur 10-jährigen gemeinsamen Schule für alle. "Längeres gemeinsames Lernen und individuelle Förderung müssen sich wie ein roter Faden durch das Bildungswesen in Baden-Württemberg ziehen", so Vogt.

Das SPD-Reformkonzept decke sich mit den Wünschen zahlreicher Schulträger und Schulpraktiker vor Ort. Auch Verbände aus Wirtschaft und Handwerk hätten sich für Reformen ausgesprochen, die in die Richtung der SPD-Vorschläge wiesen. Vogt nannte es "ein ermutigendes Signal", dass immer mehr Schulpraktiker längere gemeinsame Lernzeiten forderten, im Interesse einer besseren Förderung aller Kinder. Die Landesregierung dürfe sich diesem "Bildungsaufbruch von unten" nicht selbstgefällig widersetzen.

Reisen bildet: Mitglieder des Schulausschusses besuchten Schleswig-Holstein

Wie längeres gemeinsames Lernen von Kindern ganz pragmatisch angegangen wird, konnten die Mitglieder des Schulausschusses vor wenigen Tagen bei einem Besuch in Schleswig-Holstein besichtigen. Dort habe die Große Koalition von CDU und SPD bereits Gemeinschaftsschulen eingeführt und damit eine bundesweit beachtete Schulentwicklung im Sinne längerer gemeinsamer Lernzeiten in Gang gesetzt.

Dr. Frank Mentrup: "Schleswig-Holstein setzt sich - wohlgemerkt mit aktiver Beteiligung der CDU - an die Spitze einer bundesweiten Bewegung, die das selektive dreigliedrige Schulwesen hin zu einem integrativen Schulsystem überwinden will. Nur in der Landesregierung von Baden-Württemberg scheint die Zeit still zu stehen."

Der Paradigmenwechsel weg vom gegliederten hin zum integrativen Schulsystem sei auch deshalb dringend notwendig, um Schulstandorte wohnortnah erhalten zu können. Im Schuljahr 2006/07 wiesen 410 Hauptschulen weniger als 100 Schülerinnen und Schüler auf. Im Schuljahr 2005/06 lag diese Zahl noch bei 362 Hauptschulen. Außerdem sei die Zahl der einzügigen Hauptschulen von 687 im Jahr 2005/06 auf 727 im Jahr 2006/07 weiter angestiegen. Das ist eine Zunahme von knapp 6 Prozent innerhalb nur eines Schuljahres.

"Jede dritte Hauptschule liegt knapp über oder bereits unter der vom Kultusministerium vorgegebenen Mindestschülerzahl. Diese Schulen müssen um ihre Existenz fürchten. Wir brauchen deshalb rasch die Möglichkeit integrativer Schulformen, um Schulstandorte wohnortnah zu erhalten - ein erster Schritt wäre, den Modellparagrafen im Schulgesetz nicht ideologisch einzuschränken", unterstrich Dr. Mentrup.

Sofortmaßnahme 3: Auf den Anfang kommt es an - Elementarbildung aufwerten

Obwohl die Bedeutung der frühkindlichen Bildung mittlerweile unbestritten sei, habe die Landesregierung kein schlüssiges Konzept, um die Elementarbildung konsequent aufzuwerten. "Bei der Einführung der Sprachtests herrscht Tohuwabohu, und das Erzieherstudium kommt nur in Trippelschritten", kritisierte Dr. Mentrup. Die SPD strebe ein umfassendes Bildungskonzept für alle Tageseinrichtungen und für alle Kinder bis zum Alter von sechs Jahren an. In ihrem Mittelpunkt stehe eine professionelle Sprachförderung von Beginn des Kindergartenbesuchs an, begleitet von Sprachstandsdiagnosen. Insbesondere der Ausbau von Ganztageseinrichtungen sei dringlich. Hier hinke Baden-Württemberg im Bundesländervergleich meilenweit hinterher.

Dr. Mentrup begrüßte die zwischen Bund und Ländern erzielte Einigung bei der Krippenfinanzierung. Zugleich mahnte er ein stärkeres finanzielles Engagement der Landesregierung beim Ausbau des Platzangebotes an. Das Land müsse seinen völlig unzureichenden Betriebskostenzuschuss in Höhe von lediglich 10 Prozent auf 30 Prozent aufstocken. Das Land falle zudem mit seinen Planungen, lediglich für 20 Prozent der Kleinkinder Plätze bereitzustellen, weit hinter die Vorgaben des Bundes zurück, wonach bis 2013 für ein Drittel der Kleinkinder Betreuungsplätze vorhanden sein sollen.

Sofortmaßnahme 4: Land muss Schulsozialarbeit wieder mitfinanzieren

Die SPD appellierte an die Landesregierung, sich wieder mit eigenen Mitteln an der Förderung der Schulsozialarbeit zu beteiligen. "Schulsozialarbeit leistet bei vielen Problemfällen Hilfestellung, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Ihr Beitrag zur Integration und Gewaltprävention kann nicht hoch genug eingestuft werden", so Dr. Mentrup.

Die Landesregierung habe sich bei der Schulsozialarbeit völlig aus der Verantwortung gestohlen und verweise auf die kommunale Zuständigkeit. Kultusminister Rau habe dies inzwischen zwar als Fehler eingestanden, doch eine Kehrtwende zum Besseren sei bislang ausgeblieben. "Das Land muss in die Finanzierung der Schulsozialarbeit wieder anteilig einsteigen, denn diese Mittel sind Investitionen in die Zukunft, da Folgekosten infolge gescheiterter Schulkarrieren weithin vermieden werden können", so Dr. Mentrup.

Sofortmaßnahme 5: Ehrenamtliches Engagement von Jugendlichen fördern

Nach Ansicht der SPD darf Bildung nicht auf die Schule verkürzt werden. "Wir brauchen ein breites Bildungsverständnis, das die Abschottung der Zuständigkeitsbereiche von Familie, Schule und Jugendhilfe überwindet", so das Plädoyer von Dr. Mentrup. Der SPD liege deshalb sehr daran, die Jugendhilfe und die außerschulische Jugendbildung zu stärken und deren eigenständige, bewährte Strukturen zu erhalten. "Unser Ziel ist, dass sich die schulische und außerschulische Bildung auf gleicher Augenhöhe begegnen", machte Dr. Mentrup klar.

Der von der Landesregierung vorgelegte Gesetzentwurf zur "Stärkung des Ehrenamtes in der Jugendarbeit" bewirke jedoch das genaue Gegenteil. "Die geplante Absenkung der Freistellungsmöglichkeit von ehrenamtlich tätigen Auszubildenden auf fünf Tage ist völlig inakzeptabel. Auszubildende sollten Anspruch auf zehn Tage Freistellung haben", forderte Dr. Mentrup. Der Arbeitgeber soll die Freistellung nach dem Willen der SPD nur in absoluten Ausnahmefällen verweigern können.

Sofortmaßnahme 6: Staatliche Finanzierung der Erwachsenenbildung verbessern

Ein Stiefkind der baden-württembergischen Bildungspolitik ist in den Augen der SPD die Erwachsenenbildung. Das Bekenntnis zur Notwendigkeit des lebenslangen Lernens fehle zwar in keiner Rede von Unionsabgeordneten. Doch in der Förderpraxis für die Weiterbildungsträger regiere hierzulande seit Jahren der Rotstift. Zuletzt wurden 2006 die Landesmittel um 10 Prozent zurückgefahren.

Die Kürzungswut der letzten Jahre habe dem Weiterbildungssektor eine chronische Unterfinanzierung beschert. Der Finanzierungsanteil des Landes sei auf ein historisches Tief von 5,8 Prozent gesunken, der Bundesdurchschnitt liege bei immerhin noch 15 Prozent.

Die Teilnehmerbeiträge seien gleichzeitig nach oben geschnellt. Ihr Anteil liege heute im Land bei 55 Prozent, im Bundesdurchschnitt komme er auf 38 Prozent. "Höhere Teilnehmerbeiträge führen dazu, dass sich gerade diejenigen Menschen Weiterbildungsangebote nicht mehr leisten können, die sie am dringendsten brauchen", so Dr. Mentrup.

Die SPD werde deshalb ein Weiterbildungskonzept erarbeiten, das den Zugang zu Weiterbildungsmaßnahmen für Menschen aller Milieus und Altersstufen gewährleistet, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Recht auf Bildungsurlaub einräumt sowie schrittweise den Finanzierungsanteil des Landes auf den Bundesdurchschnitt erhöht.