Interview mit Nils Schmid: "Nicht aussortieren, sondern gemeinsames Lernen"

Veröffentlicht am 13.01.2010 in Landespolitik

Nils Schmid, der Vorsitzende der SPD Baden-Württemberg, hat der Südwest-Presse ein Interview gegeben. Hier das Gespräch im kompletten Wortlaut. Schmid u.a. zur Lage der Regierungspartei: "Mit Stefan Mappus rückt die CDU klar nach rechts. Das gibt uns die Chance, die Mitte breiter zu besetzen."

FRAGE: Herr Schmid, wie wollen Sie die Südwest-SPD wieder aufrichten?
NILS SCHMID: Ich will die Partei öffnen, sie wieder interessant machen und die Mitglieder mehr einbinden. Deshalb will ich das Instrument der Mitgliederbefragung öfter einsetzen. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Mitglieder auch über eine gewichtige Aussage des SPD-Landtagswahlprogramms abstimmen können.

FRAGE: Was unterscheidet Sie noch von Ihrer Vorgängerin Ute Vogt?
SCHMID: Ute Vogt war lange in der Bundespolitik. Ich komme aus der Landespolitik. Das ist ein Vorteil. Denn ich will den Fokus auf die Probleme in Baden-Württemberg lenken, vor allem auf Fragen der Bildungspolitik: Wie schaffen wir ein gerechtes Bildungssystem? Wie geht's weiter mit den Schulstandorten? Und wie erhöhen wir die Chancen von Migranten?

FRAGE: Wie lautet Ihre Antwort?
SCHMID: Das SPD-Konzept lautet: Nicht aussortieren, sondern gemeinsames Lernen bis Klasse 10. Aufgedockt folgt die gymnasiale Oberstufe. Diese Systemumstellung wollen wir den Schulen nicht im Schnellgang überstülpen. Daher lautet unsere Aussage für den Landtagswahlkampf: Wir wollen in einer Legislaturperiode, bis 2016, die Voraussetzungen schaffen, dass in ganz Baden-Württemberg alle Schüler von Klasse 1 bis 10 gemeinsam lernen. Den Schulträgern sagen wir: Überlegt vor Ort, in welchen Schritten ihr das Ziel erreichen wollt.

FRAGE: Die Schülerzahlen gehen zurück.
SCHMID: Deshalb ist die gemeinsame Schule eine große Chance für die Kommunen, so können wir mehr Standorte erhalten. Das ist für ein Flächenland wie Baden-Württemberg auch strukturpolitisch wichtig. Für Gemeinden sind Schulen als Ort des Gemeinschaftslebens so wichtig wie die Kirche oder der Gasthof. Wir sind daher der Bündnispartner für alle, die Schulstandorte erhalten wollen.

FRAGE: Ist das die Ansage des SPD-Spitzenkandidaten für die Landtagswahl?
SCHMID: Wir lassen uns Zeit mit der Auswahl des Spitzenkandidaten. Wenn es mehrere Kandidaten gibt, kann ich mir gut eine Mitgliederbefragung vorstellen. Bis dahin haben wir eine goldene Regel: Keiner nimmt sich aus dem Rennen.

FRAGE: Hat sich nicht der Ulmer OB Ivo Gönner aus dem Rennen genommen?
SCHMID: Für regierende Bürgermeister gelten andere Regeln.

FRAGE: Bald ist Stefan Mappus Regierungschef. Was heißt das für die SPD?
SCHMID: Mit Stefan Mappus rückt die CDU klar nach rechts. Das gibt uns die Chance, die Mitte breiter zu besetzen.

FRAGE: Wo sehen Sie den Rechtsruck?
SCHMID: Wenn es um den Ausbau der Kleinkindbetreuung ging oder den Umgang mit Schwulen, hat Mappus immer den Gegenpol zum liberaleren Noch-Regierungschef Günther Oettinger gebildet. In neuer Funktion wird Mappus natürlich viel Kreide fressen. Aber bei der Frage, ob Vielfalt als Bedrohung oder Chance verstanden wird, wird er der Hardliner bleiben, der er ist. Da kann er nicht aus seiner Haut. Doch nicht nur deshalb bietet sich uns 2011 eine Riesenchance.

FRAGE: Worauf gründet Ihr Optimismus?
SCHMID: Die schwarz-gelbe Bundesregierung befindet sich in einem katastrophalen Zustand. Bis zur Landtagswahl wird immer deutlicher werden, was für eine unfaire Politik CDU und FDP machen. Wir werden die Landtagswahl 2011 auch zu einer Volksabstimmung über die Steuersenkungsorgie der Bundesregierung machen. Denn die fehlenden Steuereinnahmen schränken auch die Handlungsfähigkeit des Landes gerade in der Bildungspolitik massiv ein.

FRAGE: CDU und FDP sind für die Zusage, Steuern zu senken, gewählt worden.
SCHMID: Die Mehrheit der Bürger will keine Steuersenkungen zum Preis steigender Ungerechtigkeiten. Es ist doch so: Von den Steuersenkungen profitieren hauptsächlich die Reichen, bezahlen müssen sie aber die Kleinen, die normalen Beitragszahler, die immer mehr für die Arbeitslosen- und Krankenversicherung abdrücken müssen. Diese Ungerechtigkeit wird bis März 2011 augenfällig werden, zumal Mappus und die Südwest-FDP ja dafür sind, Anfang 2011 den Steuersenkungswahnsinn zu Lasten des kleinen Mannes fortzusetzen. Die geistig-politische Wende, die FDP-Bundeschef Guido Westerwelle propagiert, ist in Wahrheit eine Abkehr von sozialer Politik.

FRAGE: Viele Genossen finden die Agenda-2010-Politik noch immer unsozial.
SCHMID: Die Agenda 2010 war richtig und notwendig. Es wäre daher falsch, in der Opposition zu sagen: Das war alles Mist. Aber natürlich hat die Agenda auch Fehler. Deshalb müssen wir einzelne Punkte korrigieren. Selbst Altkanzler Gerhard Schröder sagt ja, dass die Agenda nicht in Stein gemeißelt ist.

FRAGE: Wo sehen Sie Veränderungsbedarf?
SCHMID: Dass die Bemessungsgrenzen für Kinder von Hartz-IV-Empfängern so niedrig sind, halte ich für beschämend. Und bei der Rente mit 67 haben wir durch die Revisionsklausel die Chance, noch etwas zu ändern. Angesichts der hohen Arbeitslosigkeit müssen wir auch mal eine Stufe aussetzen und die Möglichkeit zur Altersteilzeit wieder stärken, damit sich die Jobchancen für Junge bessern.

FRAGE: Wie wollen Sie die SPD von der Linken abgrenzen, die 2011 den Sprung in den Landtag schaffen könnten?
SCHMID: Bislang hat die Linke stark vom Unmut über Regierungsbeschlüsse der Bundes-SPD profitiert. Nun, da auch wir in Berlin in der Opposition sind, muss sich erst noch zeigen, was die Linke inhaltlich zu bieten hat und wie sie mit ihren Problemen umgeht. Im Osten hat sie ihre SED-Vergangenheit noch immer nicht aufgearbeitet. Im Westen präsentiert die Linke zwar einen bunten Strauß an Forderungen, seriöse Finanzierungsvorschläge bleibt sie aber schuldig.

FRAGE: Eine Koalition mit der Linken wäre für Sie kein grundsätzliches Tabu?
SCHMID: Das ist auf Landesebene kein grundsätzliches Tabu mehr. Aber für Baden-Württemberg ist diese Debatte sehr theoretisch - es ist ja nicht so, als ob hier eine rot-rot-grüne Mehrheit in Sichtweite wäre. Unser Ansatz für die Landtagswahl 2011 wird sein, die Linke möglichst klein und möglichst aus dem Landtag zu halten.

FRAGE: Bei der Landtagswahl 2006 kam die SPD auf enttäuschende 25 Prozent. Wie lautet das Ziel für 2011?
SCHMID: Ich werde jetzt sicher keine Zahl nennen. Aber 25 Prozent sind natürlich ausbaufähig. Wir kämpfen darum, dass 2011 nicht ohne uns regiert werden kann. Dabei wäre es wichtig, dass das Land auch mal ohne CDU regiert wird. Deshalb werden wir eine klare Konfrontationslinie fahren. Die Steuersenkungen werden Mappus um die Ohren fliegen.

FRAGE: Und der SPD Stuttgart 21?
SCHMID: Ich weiß nicht, ob Stuttgart 21 dann noch so ein dominierendes Thema sein wird. Mit Baubeginn dürften die Gegner einsehen, dass sie einen Kampf auf verlorenem Posten führen.