Landesparteitag in Fellbach 21. und 22. September 2007

Rede von Dr. Frank-Walter Steinmeier

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

zunächst einmal möchte ich Dir, Ute, und dem neu gewählten Landesvorstand zu eurer Wahl gratulieren und euch für die nächsten Jahre viel Erfolg wünschen. Ich weiß, dass ihr hier keine leichte Aufgabe vor euch habt. Aber ich verspreche euch, dass ihr in den kommenden Wahlkämpfen voll auf unsere Unterstützung zählen könnt.

Baden-Württemberg ist die Wiege der deutschen Demokratiebewegung. Deshalb braucht Baden-Württemberg eine starke, demokratische Linke. Und das heißt immer noch: uns, eine starke Sozialdemokratie! Und so soll das bleiben!

Ihr habt mich eingeladen sicher als Außenminister, aber auch als jemand, der mehr Verantwortung übernehmen soll in unserer Partei. In doppelter Eigenschaft also spreche ich zu euch.

Und mir liegt sehr daran, deutlich zu machen, dass beides zusammengehört. Denn es macht einen Unterschied, ob wir Sozialdemokraten in diesem Land mit regieren - oder Angela Merkel und Guido Westerwelle die Politik allein bestimmen.

Ich hatte einen Vorgänger, der immer wieder betont hat, dass er nicht Außenminister der Grünen, sondern Außenminister der Bundesrepublik Deutschland sei. Spätestens seit der Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen vom letzten Wochenende wissen wir, warum ihm diese Unterscheidung so wichtig war.

Ich schätze Joschka Fischer sehr, als Außenminister und als Mensch. Aber was die Grünen am letzten Wochenende abgeliefert haben, war ein Akt politischer Selbstdemontage. Wie die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Grün trägt grau“. Vielleicht wäre „schwarz“ noch angemessener.

Ich bin als Sozialdemokrat Außenminister – und als Außenminister Sozialdemokrat. Und ich weiß mich damit an sehr exponierter Stelle als Vertreter einer Partei, die über anderthalb Jahrhunderte an kritischen Wendepunkten der Geschichte Verantwortung übernommen und unser Land nach vorn gebracht hat. Und zwar nach außen und nach innen.

Die SPD war immer dann erfolgreich, wenn Friedenspolitik und gesellschaftliche Modernisierung zusammen gingen. Das war bei Willy Brandt so. Das war bei Helmut Schmidt so. Und das war bei Gerhard Schröder so. Alle drei haben unser Land – nach außen und nach innen – zum Guten verändert.

Willy Brandt war, zusammen mit Egon Bahr, der Architekt der Entspannungspolitik. Und Willy Brandt hat nach innen unser Land entrümpelt, modernisiert und sozial durchlässiger gemacht. Dass ich, als erster meiner Familie, studieren konnte, verdanke ich seiner Politik, einer Offensive sozialdemokratischer Bildungspolitik nach 1969! Und das vergisst man nicht, wenn einem das nicht in die Wiege gelegt war!

Helmut Schmidt hat in einer Zeit neuer Krisen und Gefahren – ich nenne nur die Stichworte Ölkrise und deutscher Herbst –Deutschland auf einem sicheren Kurs gehalten.

Und Gerhard Schröder: Ohne ihn als Bundeskanzler stünde Deutschland heute mit Soldaten im Irak.

Wir haben in der schwierigen Zeit nach dem 11. September das Notwendige getan. Das heißt: Wir haben uns am Kampf gegen den internationalen Terrorismus beteiligt und tun es weiterhin. Aber wir haben Nein zu militärischen Abenteuern gesagt!

Wir Sozialdemokraten haben unter Gerhard Schröder eine gerade Furche gezogen: Wir stehen klar zur gewachsenen Verantwortung Deutschlands. Aber wir haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass diese Verantwortung Friedensverantwortung ist.

Und diese Furche wollen wir weiter ziehen! Mit einem neuen Parteiprogramm im Rücken, das sich mit großer Klarheit zu dieser Verantwortung bekennt.
Ich möchte fünf außenpolitische Felder nennen, in denen es ganz entscheidend darauf ankommt, dass wir Sozialdemokraten einen klaren Kurs halten.

Beginnen möchte ich mit der Abrüstungspolitik.

Angesichts des Aufstiegs neuer Mächte – nicht nur in Asien - sind Abrüstung und Non-Proliferation fast noch wichtiger als im Kalten Krieg. Das Gleichgewicht des Schreckens folgte noch einer gewissen Rationalität, einer zynischen Rationalität. Wer aber kann garantieren, dass in einer Welt mit einer Vielzahl neuer Nuklearmächte nicht irgendein Verrückter mit Absicht oder aus Versehen doch den falschen Knopf drückt?

Deshalb haben wir der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien Vorschläge unterbreitet, wie der nukleare Brennstoffkreislauf internationalisiert und damit sicherer gemacht werden kann. Und deshalb werden wir mit aller Kraft versuchen, das Nichtverbreitungsregime vor weiterer Erosion zu bewahren.

Und auch im Bereich der konventionellen Rüstung herrscht dringender Handlungsbedarf. Wir haben ein europäisches Interesse daran, dass unsere in Jahrzehnten entwickelte Abrüstungsarchitektur nicht rückabgewickelt wird.

In jahrzehntelanger geduldiger Arbeit haben wir ein verlässliches System von Vertrauensbildung, Transparenz und Kontrolle geschaffen. Ein System, das vielleicht sogar beispielgebend für andere Weltregionen sein kann.

Deshalb dürfen wir den KSE-Vertrag, der die konventionellen Großwaffen in Europa begrenzt, nicht einfach in den Orkus fahren lassen. Und deshalb sind wir nachhaltig skeptisch gegenüber den amerikanischen Plänen zur Raketenabwehr, die, im Konflikt mit der Hälfte Europas eingeführt, nicht mehr Sicherheit bringt, sondern neue Unsicherheiten schafft.

Zweites Thema: Iran: Auch hier geht es letzten Endes um Non-Proliferation. Ein nuklearer Iran wäre ein Sprengsatz in einer ohnehin schon explosiven Region. Das ist der Grund, weshalb wir gemeinsam mit den Amerikanern, Russen und Chinesen weiter versuchen müssen, den Iran von nuklearen Abenteuern abzuhalten.

Nicht mit Kriegsgetrommel, sondern mit Entschiedenheit und kluger Diplomatie, Instrumente klassischer Außenpolitik, die uns auf der koreanischen Halbinsel ganz offenbar weiter gebracht haben.

Wir werden hier in den nächsten Monaten vor schwierigen Diskussionen stehen – aber wir werden Kurs halten und allen militärischen Phantastereien entgegentreten.

Drittes Thema: Afghanistan. Glücklicherweise gibt es bei uns niemand, der wie Oskar Lafontaine fordert: „Raus aus Afghanistan“.

Ich sage euch: Wir müssen ihm diesen Satz um die Ohren hauen!

Denn „Raus aus Afghanistan“ heißt konkret: „Alle Macht den Taliban“. Was das für die Menschen in Afghanistan bedeuten würde, weiß dieser Lafontaine ganz genau. Es ist ihm nur offenbar völlig egal.

Deshalb sage ich: Plumper Populismus, der abwechselnd nach links und rechts schielt, das ist zynisch und unverantwortlich! Denn er verachtet die Menschen in Afghanistan!

Ich habe vor wenigen Tagen das neue Buch von Khaled Hosseini gelesen, dessen Buch „Drachenläufer“ viele von euch kennen. Er zitiert darin das Flugblatt, das die Taliban nach ihrem Einzug in Kabul verbreiten ließen: „Singen ist verboten. Tanzen ist verboten. Bücher schreiben, Filme ansehen und Bilder malen ist verboten.“ Und an die Frauen gerichtet: „Ihr werdet in der Öffentlichkeit nicht lachen. Zuwiderhandlungen werden mit Prügelstrafe geahndet. Für Mädchen ist der Besuch einer Schule verboten. Alle Mädchenschulen werden mit sofortiger Wirkung geschlossen. Erwerbsarbeit ist Frauen verboten.“ Ein gnadenloses Regime, das seine Vorstellungen mit geradezu grenzenloser Gewalt durchgesetzt, Menschen in Afghanistan alles genommen hat, was Leben noch als Leben bezeichnen lässt. Das muss die Linkspartei verantworten, wenn sie bei ihrem Nein bleibt!

Auf unserer Fraktionsklausur in Berlin war die afghanische Frauenministerin in Begleitung von zwei Abgeordneten. Und sie hat in flammenden Worten an uns appelliert, das afghanische Volk nicht allein zu lassen. Nicht nur weil wir alles gefährden würden, was wir erreicht haben, sondern weil sie an das Kellerloch zurückdenkt, in dem sie jahrelang vegetieren musste!

Wir, die internationale Völkergemeinschaft haben den Menschen in Afghanistan im Herbst 2001 auf dem Petersberg bei Bonn versprochen, dass wir dieses Volk nach 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg herausholen aus der Spirale von Willkür, Gewalt und Rechtlosigkeit.

Dass wir ihnen helfen wollen, ein Leben in Freiheit und Würde zu führen. Und dazu stehen wir Sozialdemokraten!

Das heißt allerdings nicht, dass ich für ein bloßes Weiter-so plädiere. Wir Sozialdemokraten waren es, die sich im letzten Jahr intensiv mit der Lage in Afghanistan beschäftigt haben, intensiver als jede andere Partei – und wir werden das auf dem Bundesparteitag fortsetzen. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Detlef Dzembritzki hat viele gute Vorschlägen gemacht, wie wir die Verzahnung zwischen militärischer Sicherheit und zivilem Wiederaufbau verbessern können. Das meiste davon ist in das neues Afghanistan-Konzept der Bundesregierung eingeflossen.

Aber ich sage auch: Wir müssen unsere Ziele realistisch setzen. Wir bleiben nicht in Afghanistan, bis die Regierung dort das Elterngeld und die Riester-Rente eingeführt hat. Was Afghanistan zunächst braucht, um dann selbst für innere Sicherheit zu sorgen, sind funktionierende staatliche Strukturen. Mehr gut ausgebildete afghanische Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte. Darauf werden wir uns in den nächsten zwölf Monaten konzentrieren.

Liebe Genossinnen und Genossen,

unser Ziel ist der zivile Wiederaufbau. Aber niemand ist naiv! Die Aufbauarbeit braucht weiter militärischen Schutz. Aber so richtig ist: „Ohne Wiederaufbau keine Sicherheit“, so bleibt für geraume Zeit noch richtig: „Ohne Sicherheit kein Wiederaufbau“. Wichtig ist, dass militärische Präsenz nie Selbstzweck ist. Deshalb haben wir innerhalb der NATO mit dem PRT-Konzept dafür gesorgt, dass der zivile Aufbau Priorität hat. Deshalb haben wir dafür gesorgt, dass die Vermeidung ziviler Opfer einen größeren Stellenwert bekommt. Und das Verhältnis von ISAF und OEF muss weiter angepasst werden. Das ist kein frommer Wunsch! Das findet statt! Die OEF-Mission ist seit 2006 von 20.000 auf 8.000 Soldaten reduziert worden – von denen die meisten übrigens afghanische Soldaten ausbilden. Die ISAF-Mission wurde dagegen von 10.000 auf 40.000 Soldaten aufgestockt.

Das ist der richtige Weg, der Weg, der verantwortbar ist. Die Unterscheidung von guten und bösen Mandaten hilft da nicht. Gleichzeitig plädiere ich dafür, dass wir das nächste Jahr nutzen, um das künftige Verhältnis von ISAF und OEF und ihre Verzahnung mit dem zivilen Wiederaufbau mit unseren Partnern und der afghanischen Regierung intensiv zu diskutieren.

Oberstes Ziel aller Missionen muss es sein, das afghanische Volk zu befähigen, seine Geschicke so bald wie möglich selbst in die Hand zu nehmen. Darauf müssen all unsere Anstrengungen gerichtet sein.

Viertes Thema: Russland. Wir Sozialdemokraten treten ein für die „strategische Partnerschaft“ mit Russland – auch in schwierigen Zeiten. So steht es in unserem Programm. Und so entspricht es unserem langfristigen außenpolitischen Ansatz. Russland braucht Europa – und Europa braucht Russland – übrigens nicht nur als Energielieferanten, sondern als Partner bei der Lösung fast aller Konflikte in dieser Welt.

Und lasst mich noch etwas deutlicher werden: Manche Kommentatoren sprechen mit Blick auf Russland von einer Rückkehr des Kalten Krieges. Ich sage euch: Wer so redet, treibt ein gefährliches Spiel!

Sicher, es gibt Entwicklungen in Russland, die besorgt stimmen. Aber das Russland Putins hat mit der alten Sowjetunion wenig gemein! Und Gesprächsabbrüche und Isolierung sind ganz gewiss nicht im Interesse der Menschen Russlands, die sich mit Europa kulturell und geistig eng verbunden wissen

Schließlich, fünftens: das transatlantische Verhältnis. Oft wird es vergessen, aber es bleibt wahr: Alle sozialdemokratischen Bundeskanzler, von Willy Brandt bis Gerhard Schröder, waren überzeugte Transatlantiker. Nicht im Sinne blinder Gefolgschaft, aber im Sinne fester freundschaftlicher Verbundenheit, die auf gemeinsamer Geschichte und gemeinsamen Werten ruht.

Und das entspricht auch den Erwartungen der Menschen in unserem Land. Kein vernünftiger Mensch in Deutschland folgt Lafontaine in sein bündnispolitisches Nirwana, wo er in einem Raum mit Hugo Chavez und Fidel Castro sitzt.

Ich brauche hier in Baden-Württemberg nicht zu sagen, was wir einem Amerika verdanken, das solidarisch war mit den Deutschen, wie viele konkrete Freundschaften über die Jahrzehnte gewachsen sind. Auch hier sind die Menschen nach dem 11. September spontan auf die Straßen gegangen, um ihre Solidarität mit Amerika und ihr Mitgefühl mit den Opfern und ihren Familien zu bekunden.

Aber es verändert sich etwas. In den 90er Jahren befürworteten noch 64% der befragten Europäer eine Führungsrolle der USA in den internationalen Beziehungen. Heute sind es nur noch 31%. Angesichts dieser Entwicklung ist die Politik in der Verantwortung. Dies kann uns nicht gleichgültig sein.

Wir müssen das transatlantische Verhältnis mit neuen Themen und neuen Impulsen versehen.

Die finden wir nicht, indem wir nur gebetsmühlenhaft eine Schicksals- und Wertegemeinschaft beschwören, sondern indem wir uns gemeinsam den großen Zukunftsfragen wie Energiesicherheit, Klimaschutz, Abrüstung widmen. Indem wir gemeinsam über eine bessere Kontrolle der internationalen Finanzmärkte sprechen. Indem wir unsere technologische Zusammenarbeit vertiefen. Und indem wir die Differenzen, die wir haben, offen und auf Augenhöhe austragen.

Die anstehenden Wahlen in den USA werden da neue Chancen schaffen. Ich habe gerade in den letzten Tagen bei meinen Gesprächen in Kalifornien feststellen können: Junge Politiker aus den Reihen der Demokraten, selbst einige Republikaner zeigen neues Interesse an uns, was das vor kurzem noch verlachte „alte Europa“ auf die Beine stellt. Und das ist viel. Wir sollten mit ihnen darüber reden. So intensiv und so oft wie möglich!

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich habe fünf außenpolitische Felder genannt, auf denen wir unsere sozialdemokratische Handschrift zeigen können und müssen. Auf denen es wichtig ist, dass wir die Prägung, die wir diesem Land in den letzten neun Jahren Regierungsverantwortung gegeben haben, erhalten und vertiefen.

Wir haben dieses Land toleranter und weltoffener gemacht. Wir haben ihm außenpolitisch neue Handlungsspielräume verschafft und sein Ansehen in der Welt gemehrt. Darauf können wir nun wahrhaftig stolz sein.

Aber auch mit Blick auf das, was wir wirtschafts- und gesellschaftspolitisch gemacht haben und in dieser Koalition machen, haben wir allen Grund zu selbstbewusstem Auftreten.

Denn wir waren es, die den Karren nach 16 Jahren Kohl wieder aus dem Dreck gezogen haben! Wir Sozialdemokraten haben in einer Situation, als Deutschland in einer strukturellen Wirtschaftskrise steckte und kontinuierlich Arbeitsplätze verlor, den Mut zur politischen Erneuerung gezeigt. Wir haben den Sozialstaat umbauen müssen, nicht um ihn zu schleifen, sondern ihn für die Zukunft zu erhalten.

Das ist uns nicht leicht gefallen. Und wir haben all dies gegen erhebliche Widerstände durchsetzen müssen. Den einen ging alles zu weit. Den anderen war jeder konkrete Schritt, den wir vorschlugen, viel zu wenig. Wir waren es, die die Kompassnadel auf Kurs gehalten haben! Wir haben gegenüber vielen schamlosen Forderungen für das menschliche Maß in der Politik gekämpft. Wir haben mit Mut und Augenmaß das Notwendige getan - und ich weiß, dass für viele damit Zumutungen und Opfer verbunden waren. Aber wir sehen in vielen Bereichen, dass es in unserem Land wieder nach vorn geht.

Wir haben die sozialen Sicherungssysteme stabilisiert. Wir haben eine Million Arbeitsplätze hinzugewonnen – das sind neue Perspektiven und neuer Lebensmut für eine Million Menschen, für ihre Familien, ihre Kinder. Und wir haben unserem Land und unseren Unternehmen international neues Ansehen verschafft. Die Zeit, als alle nur über Betriebsverlagerungen nachdachten, ist vorbei. Es lohnt sich wieder, in Deutschland, beim Daimler, bei Bosch oder der BASF und den unzähligen soliden Mittelständlern zu produzieren.

Aber wir haben noch jede Menge Baustellen auf unserem Weg der Erneuerung. Der Aufschwung, den wir erleben, hat noch längst nicht alle Menschen erfasst, und darum haben diese Menschen jetzt Anspruch auf eine faire Teilhabe am gemeinsam erwirtschafteten Wohlstand.

Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern haben in den vergangenen Jahren auf Urlaubs-, Weihnachtsgeld und zum Teil sogar Lohn verzichtet, um ihren Arbeitsplatz zu sichern.

Jetzt sind die Arbeitgeber dran: Wenn es den Unternehmen besser geht, muss davon auch etwas bei den Beschäftigten ankommen!

Ein Anfang ist gemacht. Erstmals seit 2004 steigen die Nettoreallöhne wieder, im ersten Halbjahr durchschnittlich um 1,3%.

Aber auch die Menschen, die vom Lohn ihrer Arbeit nicht leben können – und das betrifft eine wachsende Zahl von Menschen – haben Anspruch auf unseren Schutz. Es muss Schluss sein mit einem Dumpingwettbewerb in vielen Branchen, einem Dumpingwettbewerb, der mit immer niedrigeren Stundenlöhnen und damit auf dem Rücken der Menschen ausgetragen wird!

Es gibt mehr als eine halbe Million Menschen in Deutschland – und die Tendenz ist steigend –, die Vollzeit arbeiten und trotzdem zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen müssen. Das darf nicht sein! Wer hart arbeitet, muss von seinem Lohn auch anständig leben können.

Deshalb unterstützen wir Franz Müntefering in seinem Einsatz für gute Arbeit! Für Arbeit zu anständigen Bedingungen und angemessener Entlohnung. Und deshalb treten wir auch für Mindestlöhne ein, wo die normalen Mechanismen der Lohnfindung versagen.

Und wir werden uns auch um den Missbrauch bei der Zeitarbeit kümmern müssen. Zeitarbeit kann ein gutes Mittel sein: für die Unternehmen, um Auftragsspitzen abzufangen, für die Arbeitnehmer, weil sie sich oft für einen Dauer-Arbeitsplatz empfehlen. Aber es darf nicht sein, dass manche Unternehmen ihre Belegschaft fast komplett aus Zeitarbeitern rekrutieren!

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

einige in der Union beginnen schon wieder Stimmung und Wahlkampf zu machen mit dem Schlager „Steuern runter“. Das ist Politik von Leuten, die nur bis zwei zählen können und nicht bis drei. Denn was dieses Land jetzt ganz bestimmt nicht braucht, ist noch mehr Geld in den Händen der Spitzensteuerzahler!

Unsere Staatsverschuldung ist weiter hoch. Und Steuersenkungen auf Pump sind alles, nur nicht gerecht. Die Staatsverschuldung ist eine große Umverteilung von unten nach oben. Und wer zahlt die Kasse? Am Ende wird die Rechnung unseren Kindern präsentiert. Das ist unsere Sache nicht. Wir sind für eine Politik des sozialen Zusammenhalts; und das heißt auch: Fairness zwischen den Generationen!

Deshalb stehen wir Sozialdemokraten für eine vernünftige gestaltende Finanzpolitik. Eine Finanzpolitik, wie sie Peer Steinbrück macht. Mit mehr Investitionen in Bildung, in Forschung, in Kinderbetreuung – aber einer soliden Finanzierung und einem nachhaltigen Abbau der Neuverschuldung.

Lasst mich zum Abschluss noch einige Worte zu einem Thema sagen, das in den letzten Tagen heiß diskutiert wird. Ich spreche von der inneren Sicherheit.

Wir alle sind froh, dass unsere Sicherheitsbehörden drei verdächtige Islamisten festnehmen konnten, bevor es zu einem schrecklichen Anschlag mit möglicherweise vielen Opfern gekommen ist. Und vielleicht müssen wir rechtspolitische Schlüsse daraus ziehen.

Aber das darf uns nicht davon abhalten, die Frage möglicher gesetzlicher Neuregelungen mit der notwendigen Sorgfalt zu diskutieren.
Ich halte es für unverantwortlich, wie hier von manchen Stimmungen geschürt und latent vorhandene Ängste mobilisiert werden. Und das nur, das ist doch durchsichtig, um kurzfristige parteipolitische Geländegewinne zu erzielen! Ich sage: Dieses Thema eignet sich nicht für parteitaktische Spielchen! Dazu ist es einfach zu ernst.

Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 sind wir Sozialdemokraten keinen einzigen Tag unserer Verantwortung für die Menschen in Deutschland ausgewichen. Ich weiß, wovon ich rede. Auch ich musste mit dieser Verantwortung zurechtkommen.

Ja, liebe Genossinnen und Genossen, auch Deutschland ist im Visier des internationalen Terrorismus, und das nicht erst seit gestern. Aber das darf nicht dazu führen, dass die Rechtstaats-Achse unserer Gesellschaft verschoben wird!

Und darauf haben wir in der Vergangenheit immer ganz genau geachtet! Otto Schily stand seinerzeit nicht unter geringerem Druck, und er war bereit, das zu tun, was notwendig und verantwortbar war. Und zwar so, dass die Grenzen des Rechtstaats gewahrt blieben.

Und vor allem eins: Er hat Nerven behalten und nicht seine Nachtgedanken jeden Morgen in die Zeitung gebracht!

Und wir Sozialdemokraten sind weiter bereit, zum Schutz unserer Bürger das Notwendige und Verantwortbare zu tun.

Wir stehen zu den Vereinbarungen mit der Union zum BKA-Gesetz. Deshalb erwarten wir, dass der Innenminister das weitgehend abgestimmte Gesetz endlich einbringt!

Wir Sozialdemokraten sind nicht gegen eine gesetzliche Neuregelung bei den Online-Untersuchungen. Aber es gibt keinen sachlich gebotenen Grund, der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Prüfung dadurch vorzugreifen, dass wir eine gesetzliche Regelung jetzt auf den Weg bringen.

Und klar ist auch: Online-Durchsuchungen stellen einen schwer wiegenden Eingriff in die Privatsphäre unserer Bürger dar. Ihr Einsatz müsste in jedem Fall an strenge Auflage geknüpft werden. Ich halte einen Richtervorbehalt deshalb für unabdingbar.

Schließlich zum Lieblingsthema des Bundesinnenministers: Ich bin nicht davon überzeugt, dass der Einsatz der Bundeswehr im Innern, von wenigen spezifischen Gefahren abgesehen, ein wirkungsvolles Instrument im Kampf zur Terrorabwehr sein kann. Für einen solchen Einsatz sind unsere Soldatinnen und Soldaten weder ausgebildet noch ausgerüstet. Wer mehr Schutz im Innern will, der soll für mehr Geld und mehr Personal für die Polizei sorgen.

Aber nicht nach der Bundeswehr als Bundeshilfspolizei rufen!

Worum geht es am Ende? Darum, die Menschen zu schützen. Aber so, dass unsere Werte, die Werte einer offenen Gesellschaft, dabei nicht Schaden nehmen. Das ist sozialdemokratische Politik.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen,

wir werden auf dem Parteitag in Hamburg ein Programm verabschieden, das unseren Kurs für die Zukunft klar bestimmt. Es führt die Sozialdemokratie auf die Höhe der Zeit. Er spaltet nicht, sondern weist der Partei den Weg nach vorn.

Ich habe mir die letzte Fassung, über die heute in Berlin beraten wird, intensiv angeschaut. Und ich muss sagen: Es ist nicht nur ein kluger, sondern auch ein lesbarer Text. Dafür gebührt der Redaktionsgruppe um Hubertus Heil, mit Wolfgang Thierse, Andrea Nahles ganz besonderer Dank.

Der Parteitag in Hamburg wird auch über die zukünftigen Stellvertreter des Parteivorsitzenden zu entscheiden haben. Kurt Beck hat dazu einen Personalvorschlag vorgelegt, den ihr kennt.

Andrea Nahles, Peer Steinbrück und ich sind sicher von unterschiedlichem Wesen und Temperament. Aber wir alle dürfen und werden uns nicht als Vertreter irgendeines Flügels, sondern als Schrittmacher der gesamten Partei verstehen.
Ich werde dafür arbeiten, dass wir in einem alle drei an einem Strang ziehen; dass wir ein Klima der Geschlossenheit, des Miteinanders und Vertrauens in unserer Partei schaffen. Ich wünsche mir eine Partei, die lebendig diskutiert, an der Sache interessiert. Eine Partei, die mit ganzer Kraft für unsere Politik in die Wahlkämpfe zieht! Und die Regierungsverantwortung übernehmen will.

Lasst uns von Hamburg ein Signal des Aufbruchs senden. Ein Signal, dass unsere Partei den Mut zu Visionen hat - und gleichzeitig die Kraft, das Notwendige zu tun.

Lasst uns zeigen, dass wir beides sind: eine Partei der Teilhabe und des sozialen Aufstiegs, aber auch die Schutzmacht der Schwachen. Immer wenn die SPD beides war, war sie stark.

Und Stärke und Geschlossenheit werden wir brauchen, ob in Baden-Württemberg oder im Bund. Die werden wir zeigen! Geh’n wir’s an!