Regierungsprogramm der SPD Baden-Württemberg 2016 bis 2021

Flucht und Asyl – human handeln

Krieg und Verfolgung sind hauptsächlich Ursache dafür, dass viele Menschen ihre Heimat verlassen. Die meisten fliehen innerhalb ihrer Heimatstaaten oder in Nachbarländer. Schon aufgrund ihrer Geschichte steht die Sozialdemokratie zum Grundrecht auf Asyl. Wir wollen verfolgten und bedrohten Menschen, die in Baden-Württemberg Zuflucht suchen, Schutz bieten und Bleibeberechtigte so schnell wie möglich integrieren. Sie sollen Teil unserer vielfältigen, solidarischen Gesellschaft sein. Wir arbeiten mit Nachdruck daran, dass es endlich eine Lösung auf europäischer Ebene gibt. Europa braucht nicht nur den Schutz seiner Außengrenzen, sondern einheitliche Standards zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen sowie ein faires und funktionierendes Verteilungssystem, das für alle EU-Mitgliedsstaaten gilt. Auch die Bekämpfung der Ursachen von Flucht und Vertreibung muss künftig stärker in den Fokus des politischen Handelns rücken.

Unser Land wird sich durch die Aufnahme von Flüchtlingen verändern. Diese Veränderung gestalten wir. Insbesondere müssen wir verhindern, dass Ängste, Ressentiments oder gar Fremdenfeindlichkeit entstehen, weil sich Teile der Bevölkerung in unserer Gesellschaft benachteiligt fühlen. Die SPD steht für sozialen Zusammenhalt. Dies ist die Grundvoraussetzung für eine moderne Gesellschaft. Asylsuchende brauchen von Anfang an Perspektiven: Eine schnelle Integration für diejenigen, die bleiben werden, und die Option für eine legale Einwanderung für all jene, denen das Asylrecht keine Bleibeperspektive eröffnen kann.

Neben dem Grundgesetz und Asylrecht brauchen wir ein Einwanderungsgesetz. Ein modernes Einwanderungsrecht stärkt unser grundgesetzlich verankertes Asylrecht. Wir stehen für eine Gesellschaft, die die soziale Infrastruktur, Qualifizierung von Asylsuchenden und Stärkung unseres Gemeinwesens als Aufgaben begreift.

Menschenwürdige Unterbringung und Versorgung

Die SPD in Regierungsverantwortung meistert die Herausforderungen bei der Flüchtlingsunterbringung und Versorgung im gemeinsamen Schulterschluss von Land, Kommunen und Ehrenamtlichen. Wir haben unter der Regie des Integrationsministeriums zusammen mit allen betroffenen Ministerien und den kommunalen Spitzenverbänden eine Lenkungsgruppe geschaffen, die zielorientiert, unbürokratisch und schnell alle notwendigen Schritte einleiten und Lösungen herbeiführen kann. Wir haben die Kapazitäten in der Erstaufnahme massiv erhöht und ein Sonderprogramm für die Schaffung von Wohnraum für Flüchtlinge aufgelegt. Mit der Neufassung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes haben wir die Standards zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen verbessert und zudem die finanzielle Unterstützung für die Kommunen massiv ausgebaut.

Wir wollen Flüchtlinge dezentral unterbringen. So wird es besser gelingen, Überlastungen einzelner Standorte und Kommunen zu verhindern und gleichzeitig die Integrationschancen für die Asylsuchenden zu verbessern.

Wir werden die Erstaufnahmeeinrichtungen (LEAs) nach Bedarf weiter ausbauen und streben dabei landesweit eine gerechtere Verteilung in den Regionen an. Beim Ausbau von LEAs ist auch künftig zu berücksichtigen, dass für Frauen eigene sanitäre Anlagen, Rückzugsräume und weibliche Ansprechpartnerinnen vorhanden sind. Bei Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten wollen wir die gesetzlich befristete Aufenthaltsdauer in Erstaufnahmeeinrichtungen nutzen, um das gesamte Asylverfahren innerhalb dieser Zeit endgültig abzuschließen. Wir wollen die Phase in der Erstaufnahme als Einstieg in die Integration nutzen, indem wir dort die Qualifikationen erheben und Beratungen zur Arbeitsaufnahme anbieten, zugleich aber auch die Grenzen des Asylrechts vermitteln.

Um die medizinische Versorgung der Flüchtlinge zu verbessern und ihnen einen unbürokratischen Zugang zum Arzt zu ermöglichen, werden wir eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen. Die Karte umfasst die gesetzlichen Leistungen. Viele Asylsuchende haben Schreckliches erlebt und benötigen umfassende psychologische Betreuung. Deshalb wollen wir den Zugang zu psychologischer Behandlung für Traumatisierte, insbesondere Frauen und Kinder, verbessern. Dafür werden wir die psychosozialen Zentren im Land besser ausstatten.

Integration und Teilhabe

Wer Asyl oder subsidiären Schutz erhält, hat Anspruch auf Integration und Teilhabe. Damit die Menschen sich in unsere Gesellschaft integrieren, brauchen sie alle Möglichkeiten, um ihre Potentiale bestmöglich entfalten zu können. Die SPD in Baden-Württemberg fördert und fordert Integration. Deshalb eröffnen wir den Weg zum Spracherwerb, in unser Bildungssystem und auf den Arbeitsmarkt. Unser Bildungssystem wird unterstützt und noch gerechter gemacht. Der Ausbau der Kita-Plätze, eine bessere Sprachförderung in Kindergarten, Gemeinschafts- und Ganztagsschulen, ein gebührenfreier Zugang zu Universitäten unabhängig vom Aufenthaltsstatus – das alles sind gute Voraussetzungen für eine schnelle Integration der Menschen, die dauerhaft bei uns bleiben werden.

Wir haben inzwischen fast 1.900 Vorbereitungsklassen an allgemeinbildenden und berufsvorbereitenden Schulen eingerichtet, an denen wir intensive Sprachförderung betreiben. Dafür haben wir bereits über 1.100 zusätzliche Lehrerstellen für Vorbereitungsklassen geschaffen. Zusammen mit dem Deutschen Akademischen Auslandsdienst (DAAD) haben wir ein Stipendienprogramm für syrische Flüchtlinge aufgelegt, damit diese ihr begonnenes Studium in Baden-Württemberg fortsetzen und zu Ende bringen können.

Mit unserem Programm „Chancen gestalten – Wege der Integration in den Arbeitsmarkt öffnen“ haben wir eine Basisförderung für all jene Asylsuchenden und Flüchtlinge geschaffen, die keinen Zugang zu den Integrationskursen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder den Angeboten der Bundesagentur für Arbeit haben. Zugangshürden zum Arbeitsmarkt bauen wir ab. Wir bieten aber auch einen Spracherwerb bis zum mittleren und hohen Niveau an, denn vielfach werden diese Sprachkenntnisse benötigt, um als Fachkraft Fuß zu fassen. Diese Aufbausprachkurse müssen für Asylsuchende und Flüchtlinge weiterhin kostenfrei sein, wenn diese ein Bleiberecht haben. Mit dem Programm „Integration durch Ausbildung – Perspektiven für Flüchtlinge“ setzen wir Anreize für baden-württembergische Betriebe, gezielt in die Ausbildung von Flüchtlingen zu investieren und somit langfristig Fachkräfte heranzubilden.

Für ein Einwanderungsgesetz – Transparente Arbeitsmigration ermöglichen

Neben jenen, die vor Krieg, Terror und Verfolgung zu uns fliehen, kommen auch Menschen zu uns, die ein besseres Leben und Arbeit suchen. Der Weg über das Asylrecht eröffnet für sie keine Zukunftsperspektive, sondern führt in eine Sackgasse. Deshalb brauchen wir ein zeitgemäßes Einwanderungsgesetz mit klaren Regeln. Wir werden uns im Bund dafür einsetzen, den Wirrwarr aus über 50 verschiedenen Aufenthaltstiteln aufzulösen und endlich ein modernes Einwanderungsgesetz zu schaffen, das transparente Wege für eine legale Arbeitsmigration nach Deutschland eröffnet.

Starkes Gemeinwesen und gesellschaftlicher Zusammenhalt

In den vergangenen Monaten hat unser Land große Hilfsbereitschaft gezeigt. Die vielen lokalen Flüchtlingsinitiativen und alle Ehrenamtlichen leisten dabei Beispielloses – mitunter bis zur Erschöpfung. Dieses Engagement stärken wir durch finanzielle Förderung, aber auch durch Qualifizierung und Vernetzung. Doch es braucht auch professionelle Strukturen, damit aus freiwilligem Engagement nicht Überforderung wird. Die ehrenamtlich Tätigen sind auf hauptamtliche Integrations- und Flüchtlingsbeauftragte in den Landkreisen, Städten und Gemeinden angewiesen, die das Engagement der vielen Helferinnen und Helfer koordinieren. Hier braucht es staatliche Unterstützung, damit wichtige Informationen bereitgestellt und Angebote zur Qualifizierung und Nachbereitung geschaffen werden können. Aus diesem Grund werden wir die Förderung der Integrationsarbeit in den Kommunen fortsetzen und bei Bedarf weiter aufstocken.

Darüber hinaus müssen wir den gesellschaftlichen und sozialen Zusammenhalt fördern. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Gesellschaft auseinanderdriftet. Neiddebatten, Rassismus und Menschenfeindlichkeit haben bei uns keinen Platz.

Auf die SPD kommt es an! Wir werden:

  • Kommunale Integrationsstrukturen stärken und Integrationsbeauftragte in allen Stadt- und Landkreisen fördern,
  • in jeder Legislaturperiode einen Landesintegrationsbericht vorlegen,
  • uns für die Abschaffung der Vorrangprüfung für Drittstaatenangehörige einsetzen,
  • anonymisierte Bewerbungsverfahren für alle Stellen in Ministerien und Regierungspräsidien einführen,
  • uns im Bund für die Einführung eines zeitgemäßen Einwanderungsrechtes einsetzen,
  • eine Gesundheitskarte für Flüchtlinge einführen.